Frühstück am Flughafen, Eiskonfekt im Kino, Snacks vom Späti: Seit sich das Leben nach dem Ende der Pandemie wieder draußen abspielt, ist der Außer-Haus-Markt (AHM) für Konsumgüterunternehmen zu einem zentralen Wachstumstreiber geworden. Seit rund einem Jahr ist AHM auf dem Weg, sogar den klassischen Lebensmitteleinzelhandel (LEH) zu überholen: Bis 2028 wird dem Kanal europaweit ein jährliches Wachstum von rund 8 Prozent vorausgesagt, während der LEH im gleichen Zeitraum nur um 3 Prozent zulegen wird.
Zu den Vorreitern, die das Potenzial des AHM-Geschäfts erkannt haben, zählt Danone. Der französische Lebensmittelkonzern verstärkt gezielt seine Präsenz an Verkaufsstellen abseits der klassischen Supermärkte: in Imbissstuben, Kiosken und Spätis mit langen Öffnungszeiten. Anfang 2024 hat das Unternehmen in Deutschland ein hauseigenes AHM-Vertriebsteam mit rund 20 Vollzeitmitarbeitenden eingerichtet; davor war der Kanal von externen Distributoren betreut worden. Danones erklärtes Ziel ist es, im Außer-Haus-Markt jährlich zweistellige Wachstumsraten zu erzielen.
8%
beträgt laut Prognose die jährliche Wachstumsrate im AHM-Segment.
Attraktiv für Lebensmittelmarken ist der aufstrebende Vertriebskanal gleich aus mehreren Gründen: Erstens liefert er Nahrungsprodukte und Getränke an ein breites Spektrum zusätzlicher Verkaufsstellen, beispielsweise Bahnhöfe und Flughäfen, Hotels, Sport- und Gesundheitseinrichtungen, Restaurants, Kinos, Tankstellen oder Schulen.
Zweitens erlaubt die Snack-Verpflegung kleinere Verpackungsgrößen – das steigert die Margen. Drittens verbreitert das Außer-Haus-Geschäft die Handelskundenbasis und macht die Marke so robuster im zunehmend rauen Verhandlungsumfeld mit dem LEH. Gleichzeitig können Produktinnovationen getestet und neue Käufergruppen gewonnen werden.
Verlockende Vorteile, schärferer Wettbewerb
Vorangetrieben wird die Dynamik durch weitere Faktoren: Im AHM-Geschäft, das durch spontane Gelegenheitskäufe geprägt ist, gibt es kaum Überschneidungen mit dem klassischen Wocheneinkauf im Lebensmitteleinzelhandel – vor allem in Deutschland. Die Margenpools sind entlang der Wertschöpfungskette vom Hersteller bis zur Verkaufsstelle 1,5- bis 2-Mal so groß. Möglich wird dies in erster Linie durch die kleineren Verpackungseinheiten, die in den fragmentierten Märkten angeboten werden können, verbunden mit der richtigen Markteinführungsstrategie und einem hocheffizienten Vertriebsmodell. Nicht zuletzt erlaubt der vielfältige Vertriebskanal den dynamischen Markenaufbau von neuen Nahrungsprodukten und Getränken durch gezielte Bewerbung am Point of Sale (PoS).
Wachstumsstrategisch verspricht der AHM vor allem Umsatzsteigerung und Kundengewinne. Neue Verkaufspunkte, etwa im Kino, bei Konzerten oder im Freizeitpark, können starke Kaufimpulse setzen – in Situationen, wo die Konsumbereitschaft der Konsument:innen ohnehin tendenziell höher liegt. Die zunehmende Snack-Kultur außer Haus (in Deutschland noch vergleichsweise gering ausgeprägt, gemessen etwa an Spanien oder Großbritannien) schafft zahlreiche zusätzliche Kaufanlässe außerhalb der Supermärkte. Mit Blick auf die Markenbildung gilt das Außer-Haus-Geschäft zudem bei vielen Herstellern als strategisch wichtiger Treiber für mehr Sichtbarkeit und Neukundenakquise. Die attraktiven Wachstumsaussichten bewirken, dass sich der AHM-Wettbewerb in der Lebensmittelbranche zunehmend verschärft. Denn nicht nur Danone steigert seine Präsenz in den fragmentierten Märkten. Der Getränkekonzern PepsiCo will seinen globalen AHM-Umsatz bis 2027 um rund 5 Milliarden US-Dollar steigern – das bedeutet Wachstumsraten von mehr als 10 Prozent pro Jahr.
Hauptabsatzziele des Unternehmens sind Reiseverkaufsstellen und der Convenience-Handel. Kraft Heinz und Nestlé wiederum beliefern neben Schulen und Freizeitstätten verstärkt auch kleine, lokale Lebensmittelläden (Mom and Pop Stores) mit ihren Produkten. Der AHM wird zum heiß umkämpften Absatzmarkt der großen Lebensmittelmarken.
AHM-typische Herausforderungen
Das Außer-Haus-Geschäft unterscheidet sich gleich in mehrerlei Hinsicht grundlegend vom klassischen Einzelhandel. Konsumgüterunternehmen, die den fragmentierten Markt für sich nutzen wollen, werden mit fünf typischen Herausforderungen konfrontiert:
Multiple Kanalanforderungen. AHM-Verkaufsstellen sind äußerst heterogen. Für die Vertriebsteams ist es nicht leicht, das passende Angebot, die optimale Kundenansprache und den angemessenen Preis für das jeweilige Produkt zu wählen.
Begrenzte Datenverfügbarkeit. Häufig fehlt es an den richtigen Daten, um die Rentabilität der unterschiedlichen Verkaufsstellen zu bewerten oder Optimierungspotenzial zu quantifizieren.
Passendes Portfolio. Wie umsatzentscheidend ein auf den jeweiligen Subkanal zugeschnittenes Produktangebot ist, belegt diese McKinsey-Befragung von Lebensmittelherstellern: 60 Prozent der Top-Performer gaben an, dass sie ihr Portfolio entsprechend angepasst haben. Bei den übrigen sind es nur 27 Prozent.
Hohe Vertriebskosten. Vermeidbare Margenverluste entstehen, wenn zwischen Produzenten und Verkaufsstellen unnötig viele Zwischenhändler in die Lieferkette eingebunden sind.
Inkonsistente Preise. Besonders herausfordernd für Lebensmittelanbieter sind Preisstrategien, die individuell an die verschiedenen Verkaufsstellen angepasst sind – beispielsweise eine Tüte Chips an der Tankstelle für 4 Euro und am Flughafen für 6 Euro. Nur 40 Prozent der Lebensmittelhersteller verfügen über ein dediziertes AHM-Pricing mit regelmäßigen Surveys zur Schaffung von Transparenz, die es ermöglichen, Margenzuwächse durch das Außer-Haus-Geschäft genau zu erfassen. Bei den Vorreitern sind es 80 Prozent.
Die Erfolgsrezepte
Besonders auffällig bei den Top-Performern ist zudem, dass fast alle von ihnen inzwischen konkrete AHM-Geschäftsziele definiert und die Sparte zum integralen Bestandteil ihrer Wachstumsstrategie gemacht haben. Bei den anderen Anbietern ist es nur jeder Fünfte. Doch es gibt noch weitere Erfolgsrezepte, wie die nachfolgenden Best-Practice-Beispiele zeigen.
„Where to play“-Strategie auf Mikroebene
Bei der „Where to play“-Strategie folgen die Top-Performer einem klar abgesteckten Weg. Zunächst entscheiden sie, welcher AHM-Kanal die größten Erfolgschancen bietet. Zu erwartendes Umsatzvolumen, Skalierungspotenzial und Margenattraktivität werden dabei mit der operativen Komplexität im Hinblick auf den fragmentierten Kanal ausbalanciert. Bei der Auswahl berücksichtigt werden dann spezifische regionale Gegebenheiten, relevante Produktkategorien (Salzgebäck, Schokoriegel oder Cerealien), mögliche Verkaufsstellen (Flughafen oder Kiosk) und Kaufgelegenheiten (Impuls- oder Nachschubkauf). Am Ende verschmelzen die gesammelten Informationen zu einem strategischen Wachstumsplan, der das höchste Gewinnpotenzial verspricht.
Der Lebensmittelkonzern Kraft Heinz steigert Sichtbarkeit und Marge seiner Produkte an den unterschiedlichen AHM-Verkaufsstandorten mit sofort konsumierbaren Angeboten und kleinen To-go-Packungen, die sich klar von den größeren (und preislich attraktiveren) Verpackungen im Einzelhandel abheben. Das Management von Kraft Heinz setzt große Hoffnung auf den AHM-Kanal: Ein Drittel seines langfristigen Wachstums erwartet das Unternehmen aus diesem Segment, hauptsächlich aus dem hoch fragmentierten Kiosk- und Späti-Handel.
Bis zu
2x
größer sind die Margenpools im Außer-Haus-Markt gegenüber klassischen Vertriebskanälen.
Route to Market mit digitaler und externer Unterstützung
Ein smarter Route-to-Market-Ansatz wird im Dschungel des AHM-Geschäfts zum echten Erfolgsfaktor. Dabei hilft Technologie: Fortschrittliche Tools zur digitalen Datenerhebung und -analyse segmentieren die attraktivsten Verkaufsstellen in Bezug auf Umsatz und Traffic und helfen bei der Entscheidung, wo sich der Einsatz eigener Außendienstteams oder die Platzierung von PoS-Material am ehesten lohnt. Oft übernehmen hochspezialisierte Vertriebspartner solche Dienstleistungen. Der Zugang zu führenden eB2B-Plattformen verschafft zusätzlich einen Marktvorsprung durch die Verschiebung von Push- zu Pull-Strategien – weg vom Außendienstangebot hin zur aktiven Kundennachfrage.
Die Ausstattung des AHM-Vertriebsteams mit hochwertigem PoS-Material (z.B.Displays) erhöht zugleich die Markensichtbarkeit in den Verkaufsstellen und motiviert zum Kauf. In Großbritannien arbeitet Getränkehersteller PepsiCo mit einer auf AHM spezialisierten Vertriebsagentur zusammen, integriert diese vollständig in seine Vertriebsoperationen und kooperiert eng mit ihr bei der Datenerfassung und -verarbeitung (Technologie-Suite). Gleichzeitig ergänzt eine rund 20-köpfige externe Salesforce das bestehende Verkaufsteam und sorgt für erhöhte Präsenz an AHM-Verkaufsstellen wie Bäckereien, Cafés, Gaststätten und Freizeitzentren.
Kanalspezifisches Revenue Growth Management
Das AHM-Geschäft braucht ein eigenes, auf die Besonderheiten des Kanals abgestimmtes Umsatzwachstumsmanagement (Revenue Growth Management, RGM). Dieser Ansatz umfasst speziell auf die Subkanäle zugeschnittene Pack-Preis-Kanal-Architekturen und eine klar ausgerichtete Strategie der Handelsausgaben. Eine der größten Herausforderungen dabei ist es, das breite Margenspektrum in der fragmentierten AHM-Landschaft richtig auszubalancieren: Distributoren erwarten 10 bis 20 Prozent Margen, Spätis und kleine Supermärkte sogar 40 bis 70 Prozent. Zusätzlicher Margendruck entsteht durch ethnisch geprägte Convenience-Händler, die z.B. mit türkischen Snack-Angeboten wie Mister Potato den etablierten westlichen Marken Konkurrenz machen. Acht von zehn AHM-Spitzenreitern verfügen nach McKinsey-Analysen über eine dedizierte RGM-Strategie für das AHM-Geschäft – ein klarer Hinweis auf die Relevanz des Ansatzes für den Erfolg in diesem Segment. Snackhersteller Kellanova beispielsweise bietet seine Hauptmarke Pringles je nach AHM-Kanal in Verpackungsgrößen von 40, 70 oder 165 Gramm an. Mit seiner differenzierten Pack-Preis-Kanal-Architektur versucht das Unternehmen, zum führenden Snacklieferanten im Außer-Haus-Markt zu werden.
„How to win“ – sechs strategische Bausteine
Mit den Erfolgsrezepten der AHM-Champions allein ist es jedoch nicht getan. Um in den AHM-Kanälen nachhaltiges Wachstum zu erzielen, braucht es gleichzeitig klar definierte „How to win“-Strategien entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Dabei geht es darum, mit dem eigenen Angebot sowohl für die AHM-Handelskunden als auch für die Endkonsument:innen relevant zu sein und dabei organisatorisch wie operativ so effizient wie möglich zu agieren. Um diese Anforderungen zu erfüllen, sollte ein umfassender „How to win“-Fahrplan aus sechs strategischen Abschnitten bestehen, der von der Route to Market bis zum Business Case für die Skalierung reicht. Die folgenden Schlüsselfragen helfen, bei der Entwicklung der Einzelstrategien den richtigen Weg einzuschlagen. RTM- und Vertriebsdesign: Entspricht unsere gegenwärtige Aufstellung im Außer-Haus-Markt unseren Wachstumszielen in diesem Segment? Haben wir ausreichenden Zugang zu AHM-Verkaufsstellen?
RGM und Vermarktung:Verfügen wir über die richtige Pack-Preis-Kanal-Architektur, um das Margenzuwachspotenzial realisieren zu können, das in den Verkaufsstellen steckt?
Portfolio und Sortiment: Erfüllen unsere Produkte die Konsumentenbedürfnisse? Welche Anpassungen im Portfolio sind nötig, um das Angebot weiter skalieren zu können?
Markenbildung und Aktivierung: Welche Rolle spielen unsere Marken im AHM im Vergleich zum Wettbewerb? Welche Verkaufsmaterialien und -Aktionen am PoS erhöhen die Markensichtbarkeit?
Operating Model: Wie sollte unser Betriebsmodell für die Skalierung des AHM-Geschäfts gestaltet sein – eigenständig, integriert, hybrid oder über einen Inkubator? Gibt es intern noch Kompetenzlücken, die zu schließen sind?
Business-Case-Planung: Wie lassen sich die übergeordneten Wachstumsziele auf die AHM-Geschäftseinheiten übertragen? Liegt ein überzeugendes Finanzierungskonzept (Business Case) für die Skalierung vor?
Wie elementar strategische und operative Best Practices für den Erfolg im AHM-Geschäft sind, belegt eine McKinsey-Umfrage unter 20 Lebensmittelherstellern in Europa: Über alle Dimensionen hinweg, vom AHM-gerechten Portfolio bis zum passenden Operating Model, haben die Top-Performer in diesem Segment die Nase weit vorn: Der Abstand zur Konkurrenz beträgt teilweise bis zu 60 Prozent. Im Schnitt besitzen 76 Prozent der Vorreiter schon heute ausgereifte AHM-Fähigkeiten, während der Durchschnitt bei lediglich 31 Prozent liegt – der Leistungsunterschied zwischen den beiden Gruppen ist somit überdeutlich.
76%
der Vorreiter haben bereits ausgeprägte AHM-Fähigkeiten, bei den anderen Unternehmen sind es nur 31%.
Das Rennen ist eröffnet
Noch aber ist das Rennen um das margenträchtige Außer-Haus-Geschäft nicht gelaufen. Denn das Segment ist weiter auf Wachstumskurs und auch Nachzügler können noch aufholen. Wer in diesem Rennen die Pole Position einnehmen will, braucht eine differenzierte Sicht auf den stark fragmentierten Markt und genaue Kenntnis darüber, wie er tickt. Die hier vorgestellten Best Practices und Strategien helfen, die notwendigen strategischen und operativen Fähigkeiten zu entwickeln, um im AHM-Segment nachhaltiges Wachstum zu erzielen.